Wie alles begann - Erinnerungen
Historie
Ein Kultlied entsteht
Der "Hamborger Veermaster"
Liebe Shanty-Freunde,
liebe Leserinnen und Leser,
eigentlich wollten wir zu unserem Shanty-Festival in Jork mit einer maritimen Sensation aufwarten:
Der Entdeckung des „Hamborger Veermaster“!
Unser Sänger im 2. Bass, Hubertus Godeysen, ist recht erfolgreich auf der Suche nach Hamburgs bekanntestem Schiff und kurz vor dem Ziel.
Aber leider müssen wir noch etwas warten.
Johannes Holst, 1965: Hamburger Frachtsegler
„De Hamburorger Veermaster“
Es gibt kein anderes norddeutsches Lied, das so beliebt und verbreitet ist, wie „De Hamborger Veermaster“. Obwohl der Text Zustände an Bord eines alten Frachtseglers beschreibt, die wahrlich keine Werbung für die christliche Seefahrt sind, fehlt der Veermaster in keinem Repertoire norddeutscher Männer- und Frauenchöre. Bei deutschsprachigen Shanty-Festivals gehört er zum festen Programm, selbst wenn die Chöre in Süddeutschland, Österreich, der Schweiz, den Niederlanden oder im dänischen Nordschleswig ihren „Heimathafen“ haben.
Erfunden sind die Schilderungen nicht, die da recht drastisch beschrieben werden, auch wenn es große Unterschiede machte, ob man auf einem stolzen Segler anheuerte oder volltrunken aus Hafenspelunken geschleppt (shanghait) wurde und auf einem Seelenverkäufer landete. Aber in Zeiten, in denen menschliche Arbeitskraft weniger Wert hatte, war es für manche Reeder, Schiffseigner und Kapitäne durchaus verlockend, an den Kosten für die Mannschaft zu sparen. Dann wurden die Seeleute eben in verlauste Unterkünfte gesteckt und bekamen, wenn das frische Fleisch und Gemüse verzehrt war, verschimmeltes Salzfleisch, Speck voller Maden und alten Schiffszwieback vorgesetzt.
Und dann ist da noch eine Besonderheit: „Ick heff mol en Hamborger Veermaster sehn“ wird auf Plattdütsch gesungen! Es gibt zwar eine hochdeutsche Version, doch die hat gegenüber Platt keine Chance. So ist der Veermaster zu einem aktiven Botschafter der plattdeutschen Sprache geworden, wenn auch mit englischem Refrain. Egal ob der Shanty-Klassiker an der Nordseeküste, am Ostseestrand, an Elbe, Weser, Rhein, Mosel, Isar, Donau, am Bodensee, im tiefsten Binnenland oder in den Bergen erklingt, alle singen ihn mit Herz und großer Freude und fühlen sich so der Seefahrt verbunden.
Hamburgs Kultlied kommt aus Kalifornien
Doch das Lied über den Hamborger Veermaster, das in Hamburg nicht nur Kultstatus hat, sondern auch zum typischen Kulturgut der Hansestadt gehört, kommt gar nicht aus Norddeutschland! Melodie und Refrain entstanden an der Westküste der USA in Kalifornien. 1848 war dort auf dem Land des Schweizers Johann August Sutter, am Ufer (on the banks) des Sacramento, Gold gefunden worden. Dieser Fund löste weltweit einen heute unvorstellbaren „Gold-Rush“ aus und lockte Hunderttausende an.
Die ersten Goldgräber kamen aus dem mittleren Westen der USA und rumpelten auf von Pferden gezogenen Planwagen nach Kalifornien. Auf ihrem beschwerlichen Weg sangen sie ein Lied, das später alle kannten: „The banks of Sacramento“! Bemerkenswert an diesem Song ist der Refrain, den wir gut kennen:
„Then, ho! Boys ho!
To California go.
There`s plenty of gold so I`m told
On the banks of Sacramento,
On the banks of Sacramento.“
Ein Jahr später schrieb Stephen Forster (1826-1864), damals der bekannteste US-amerikanische Songwriter, der auch „Oh! Susanna“ komponierte, ein Lied mit zwei Titeln: „The Camptown races“ bzw. „The Camptown ladies“. Das chaotische Nonsens-Lied spielt in den „Camptowns“, den über Nacht entstandenen Zeltstädten der Goldgräber. Der Text beschreibt ein 5-Meilen Pferderennen, Wetten, Goldclaims und Frauen aus den Camptowns, die wohl keine „Ladies“ waren:
„De Camptown ladies sing dis song, Doo-dah! Doo-dah!
De Camptown race-track five miles long.
Oh, doo-dah day!“
Das Lied ist in afroamerikanischem Englisch als Minstrel Song geschrieben. Damals waren in den USA niveaulose derbe Minstrel- oder Blackface Shows sehr beliebt, in denen weiße Musiker und Sänger auftraten, die mit schwarz gefärbten Gesichtern Afroamerikaner rassistisch verhöhnten. Das Blackfacing war bei Unterhaltungsshows nicht nur in den Südstaaten enorm verbreitet, sondern bis 1909 auch im Norden der USA. Das heute kritisierte „Blackfacing“ hat hier seinen Ursprung.
Die Hoffnung in Kalifornien schnell reich zu werden, lockte vorrangig Glücksritter aus den USA und Europa an. Von der amerikanischen Ostküste segelten US-Clipper um Kap Hoorn nach Sacramento, in britischen Häfen starteten Segler nach Kalifornien und je schneller die Nachfrage nach Schiffpassagen anstieg, umso mehr umrundeten auch andere Schiffe Kap Hoorn mit Zielhafen San Francisco oder Sacramento. Allein 1849, dem Höhepunkt des Goldrausches, kamen über 80.000 Menschen per Schiff nach Kalifornien.
Auf diesen Seglern kannten alle Seeleute den Song „Camptown ladies“, dessen geniale Melodie so eingängig war, dass sie überall in den USA gesungen, gepfiffen und geträllert wurde. An Bord der Kalifornien-Segler verschwand der wirre Text, das Kunstwort „Doo-dah“ wandelte sich in „Hoodah“ (Hauruck) und das Lied wurde zum typischen Capstan-Shanty, einem Arbeitslied am Gangspill zum Aufholen des Ankers:
„Sing and heave and heave and sing. Hoodah! Hoodah!
Heave and make the hand-spikes spring.Oh, hoodah, hoodah ho!”
Und „Banks of Sacramento“, das zweite enorm populäre Goldgräberlied, feuerte nun die Matrosen mit „Blow boys blow“ (Jungs haut rein) als Refrain an:
„Blow boys blow, for Californio.
There is plenty of gold so I am told,
on the banks of Sacramento.”
Der „Gold-Rush“ von 1848 bis 1854 hatte direkte Auswirkungen auf die europäische Seefahrt, denn die Segler nach Kalifornien transportierten nicht nur Menschen, sondern auch Werkzeug, Bekleidung, Zelte, Baumaterial und haltbare Verpflegung. Der Ansturm von Goldsuchern ließ über Nacht Städte entstehen, deren Bewohner versorgt werden mussten. Allein San Francisco wuchs von Januar 1848 bis Dezember 1849 von 1.000 auf 25.000 Einwohner an.
Die Frachtraten kletterten immer höher und in den Häfen der US-Ostküste, aber auch in England, Hamburg und Bremen wurden Schiffe flottgemacht, um sie für die Fahrt nach Sacramento einzusetzen. Hatten die Segler dann die kalifornische Küste erreicht, konnten sie die Heimreise oft nur mit großer Verspätung antreten, weil mitunter komplette Mannschaften abmusterten, um zu den Goldfeldern zu eilen. Doch wirklich reich wurden nur wenige Goldsucher. Die meisten brachten ihre Nuggets in den Goldgräberlagern mit billigem Alkohol, Kartenspiel oder Frauen durch.
Dafür verdienten die Händler und Kaufleute gut, die ihre Waren und Lebensmittel zu weit überhöhten Preisen anboten. Zu den großen Gewinnern zählte auch der 1829 im oberfränkischen Buttenheim bei Bamberg geborene Levi Strauss. Der Sohn eines armen jüdischen Hausierers wanderte nach New York aus und arbeitete im Textilhandel. Als der Goldrausch begann, verkaufte er in San Francisco Kurzwaren, Hosenträger und Kleidung, bis er merkte, dass die Goldgräber strapazierfähige Hosen benötigten. Mit einem Partner fertigte er aus Segeltuch Hosen, deren Taschen mit Nieten verstärkt wurden und erfand so die „Nietenhose“, aus der sich die Jeans entwickelten. 1902 starb er als mehrfacher Millionär, seine Firma besteht noch immer.
„Knurrhähne“ verbreiten Hamburgs Protest-Shanty
Während „The banks of Sacramento“ mit Begeisterung auf amerikanischen und englischen Schiffen gesungen wurde, war das Lied bei deutschen Seeleuten weitgehend unbekannt. Erst als ab den 1880er Jahren Segler der Hamburger Reedereien Sloman und Laeisz Kap Hoorn umrundeten, um in Chile Salpeter zu laden, schnappten auch deutsche Seeleute das amerikanische Shanty auf und brachten es nach Hamburg.
Hier erhielt das Lied einen neuen Text unter Beibehaltung der beliebten eingängigen Melodie und des bekannten Goldgräber-Refrains „Blow boys blow, for Californio“. Sicher ist, dass kein musikalischer Profi das Lied umgetextet hat, denn der historisch längst überholte und eigentlich unpassende amerikanische Refrain wäre sonst ersetzt worden. Es waren Seeleute, die das ihnen gut bekannte Shanty kaperten, um die menschenunwürdigen Zustände auf den alten Seglern publik zu machen und auf die mangelhafte Verpflegung hinzuweisen.
De Hamborger Veermaster aus dem „Knurrhahn“
Danach dauerte es noch, bis die Mehrheit der Reeder begriff, dass sie sich mehr um ihre Mannschaften kümmern mussten. Langsam investierten sie in Unterbringung und Verpflegung an Bord ihrer Schiffe und ergänzten die eintönige Mangelernährung aus hartem Brot mit Pökelfleisch durch Äpfel und Sauerkraut gegen Skorbut. Als dann die seit 1830 von Klempnermeister Heinrich Züchner in dem Harzstädtchen Seesen hergestellten Konservendosen endlich auch für die Schiffsverpflegung genutzt wurden, war dies eine enorme Verbesserung.
Den im Lied Hamborger Veermaster ausgedrückten Protest hatten die Seeleute in der Sprache formuliert, die an Bord und im Hafen galt: Platt. Als jedoch die Verhältnisse auf den Segelschiffen besser wurden, verlor ihre Kritik an Härte, was sicherlich auch am plattdeutschen Text lag. Je weiter sich das Protestlied von Hamburg entfernte, desto unbeschwerter klang es. Und so machte der Veermaster ungewollt als lustiges Lied über die Seefahrt Karriere, wurde zum witzigen plattdeutschen Song über einen Kapitän mit schiefen Beinen auf einem dreckigen schmierigen Segelschiff. Deutschlandweit freuten sich die Leute nun über den alten verlausten Segler und sangen fröhlich auf Platt: „Ick heff mol en Hamborger Veermaster sehn“.
Erstmals veröffentlicht wurde der Veermaster durch den Kieler „Lotsengesangsverein Knurrhahn“. Im Winter 1928/29 waren Ostsee und Kanal über Wochen zugefroren und die Holtenauer Lotsen konnten nicht arbeiten. Sie tranken Grog, rauchten ihre Pfeifen und erzählten von ihren Erlebnissen aus der Segelschifffahrtszeit. Irgendwann sangen sie dann ihre alten Seemannslieder und gründeten im Februar 1929 den Chor „Knurrhahn“. Nach guter deutscher Art wählten sie einen Vorstand und einen „Oberknurrhahn“ und sind bis heute aktiv. Neben dem Chorgesang widmeten sich die Lotsen dem Sammeln von Shanties und Seemannsliedern, hielten die mündlich überlieferten Lieder handschriftlich fest und sangen sie Chormeister Klaus Prigge vor, der die Lieder in Noten setzte.
Später wurde dann ein erstes Knurrhahn-Liederbuch gedruckt, das deutschlandweit schnell Verbreitung fand und dem weitere Ausgaben folgten. Ohne die „Knurrhähne“ wären sehr viele der alten Shanties und Lieder verlorengegangenen! Der Veermaster kam durch den Holtenauer Lotsen Kapitän H. Blöcker in das Liederbuch. Als junger Seemann war er auf Großseglern gefahren und hatte den Veermaster noch am Gangspill gesungen.
Durch das Liederbuch der Holtenauer Lotsen übernahmen Studenten den Veermaster in ihre Kommersbücher, auch erschien das Shanty in Volksliedersammlungen und in Liederbüchern für Soldaten und Pfadfinder. Der Veermaster wurde enorm populär und zum typischen Lied für Hamburg! Bekannte Solosänger und Chöre trugen ihn vor und er fehlte in keiner Hörfunk- oder TV-Sendung mit Seemanns- und Hafenliedern. Rund 200 Schallplatten und CD-Aufnahmen erschienen und wurden eifrig gekauft. Noch immer ist er Publikumsliebling bei Shanty-Festivals und wird von begeisterten Zuhörern laut und textsicher mitgesungen.
Wer erleben will, wie der Veermaster grenzüberschreitend Jung und Alt fröhlich verbindet, kann dies bei den Emder Matjestagen überzeugend erleben. Dann lassen sich hunderte Besucher auf einem ostfriesischen Marktplatz von holländischen Musikern und Sängern auffordern, aus voller Brust das Shanty zu schmettern, das dort dann textsicher, lautstark und lebensfroh erklingt.
De Veermaster, ein plattdeutsches Protestlied
Dass aus ihrem Protestlied mal ein fröhlicher Song über die Seefahrt wird, der so gar nicht der damals erlebten Wahrheit entspricht, hatten die Hamburger Seeleute sicherlich nicht erwartet, als sie den Veermaster texteten. Monatelang fuhren sie unter Bedingungen auf ihren Seglern, die heute unvorstellbar sind. Viel Wut staute sich bei den Schiffsbesatzungen auf, die sie an Bord jedoch nicht frei äußern konnten. Erst an Land brach es aus ihnen heraus: „Dat Logis weer vull Wanzen / de Kombüs weer vull Dreck“! Und voller Zorn gegen das in Salzlake eingelegte Pökelfleisch und den Schiffszwieback mit seinem krabbelnden Innenleben sangen sie: „Dat Soltfleesch weer gröön un de Speck weer vull Maden / De Beschüten de löpen von sülben all weg“!
Auch wenn der Text drastisch überzieht, der Protest war berechtigt. Durch die fehlende Kühlung bestand der Proviant oft nur aus hartem Brot und in Salzlake eingelegtem Pökelfleisch, was bei längeren Seereisen zu Skorbut und Zahnausfall führte. Mitunter wurde sogar der restliche Proviant von einlaufenden Seglern billig eingekauft und dann nochmals auf die Reise geschickt. Auch die Unterkünfte auf den damaligen Schiffen waren, nach heutigem Maßstab unzumutbar und zwar auf allen Schiffen, wenn sie monatelang auf See waren.
Den Frust der Seeleute über das mangelhafte Essen bekamen zwar die Smutjes ab, doch eigentlich waren die Kapitäne gemeint, die für die Verpflegung verantwortlich waren. Gemeinsam mit dem Schiffskoch mussten sie einen wöchentlichen Speiseplan aufstellen und im Zielhafen frische Lebensmittel für die Rückreise beschaffen.
Aber wenn das Angebot schlecht oder der Preis zu hoch war, gab es bereits nach wenigen Wochen wieder Salzfleisch, getrocknete Erbsen, Linsen oder Graupen, unterbrochen nur durch frischen Fisch, wenn er denn gefangen werden konnte. In der Hamburger Speiserolle von 1849 war zwar eine tägliche Mindestverpflegung vorgeschrieben, doch konnten Verstöße gegen die Bestimmungen erst am Ende einer Reise beim Seeamt des Heimathafens angezeigt werden.
An Bord war der Kapitän unumschränkter Alleinherrscher, was jedoch auch bedeutet, dass er alle Kritik auf sich zog. So verwundert es nicht, dass ihm im Hamborger Veermaster, neben der Kritik an Verpflegung und Logis, auch weitere Vorwürfe gemacht werden:
„De Masten so scheef as den Schipper sien Been.“
„Dat Deck weer von Isen, vull Schiet un vull Smeer.“
„Kööm geev dat bloß an´n Winachtsabend“.
„As dat Schipp, so weer ok de Kaptein. / De Lüüd för dat Schipp wörrn ok bloß schanghait.“
Und dann wird auch noch an seinen nautischen Fähigkeiten gezweifelt:
„Un wull´n wi mal seil´n, ick segg dat jo nur, / Denn lööp he dree (Faden) vörut und veer werrer retur.“
Im Liedtext beschweren sich die Seeleute also nicht über ehrgeizige Kapitäne, die aus Schiff und Mannschaft alles herausholen um neue Geschwindigkeitsrekorde für ihre Reeder aufzustellen. Sie beanstanden nicht häufige Segelmanöver bei der „Alle Mann“ benötigt werden, weil die Kapitäne jeden Wind ausnutzen wollen. Sie kritisieren nicht die extremen Bedingungen beim Umrunden von Kap Hoorn. Sie bemängeln nicht harte Überforderungen oder als willkürlich empfundene Disziplinarmaßnahmen. Sie rügen nicht einmal autoritäres Verhalten von Kapitänen und Vorgesetzten.
Nein! – Sie ärgern sich über „Schiet un Smeer“, zu wenig „Rein Schiff“ und dass der „Alte“ zu langsam segelt!
Selbstverständlich gab es gleichgültige oder unfähige Kapitäne, die sich weder um das Wohl ihrer Männer kümmerten, noch um den Zustand ihrer Schiffe. Aber diesen Kapitänen vertrauten Hamburger Reeder keine Viermaster an, keine teure Ladung und keine gut ausgebildeten Mannschaften. Undenkbar, dass die großen Frachtsegler von Sloman, Rickmers oder die Flying P-Liner von Laisz von Kapitänen geführt wurden, die auch nur annähernd dem „Kaptein“ aus dem Veermaster ähnelten.
Sicher fuhren sie ihre Großsegler über die Meere und trotzten schweren Stürmen. Sie waren Autoritäten mit anerkanntem Können, deren Namen man in den norddeutschen Hafenstädten mit Achtung nannte. Deutsche Großsegler hatten weltweit einen guten Ruf, galten als schnell und verlässlich, auch weil sie von erfahrenen Kapitänen und gut ausgebildeten Offizieren und Unteroffizieren gefahren wurden.
Deutschland fuhr noch lange mit Segelschiffen, während England, das über billige Kohle und ein Weltreich mit Kolonien und gut vernetzten Häfen verfügte, schon früh Dampfer einsetzte. Dafür schickten deutsche Reeder ihre Segler lieber ohne Zwischenstopp nach Australien, Asien, Lateinamerika, um Kap Hoorn an die US-Westküste oder nach New York und konnten so den kompletten Stauraum für Ladung oder den Transport von Auswanderer nutzen.
Jetzt hat Hamburg wieder einen Veermaster!
Am 7. September 2020 kehrte die 1911 erbaute „Peking“ zurück.
34 Mal umrundete sie das legendäre Kap Horn.
Wenn also das Lied vom Hamborger Veermaster eigentlich ein Protestsong ist, der die menschenunwürdigen Zustände im Logis und bei der mangelhaften Verpflegung richtig beschreibt, aber bei der Kritik an den Kapitänen maßlos übertreibt, stellen sich Fragen:
Gab es einen Hamburger Veermaster „vull Schiet un vull Smeer“?
Gab es einen Segler, dessen „Masten so scheef as den Schipper sien Been“ waren?
Gab es einen Kapitän dessen Schiff „dree vörut und veer werrer retur“ lief?
Oder war alles ganz anders?
Im Oktober können wir diese Fragen beantworten!
Bitte habt noch etwas Geduld!
Hubertus Godeysen, Juli 2024
1981 - Gründung Altländer Shanty Chor
Altländer Shanty-Chor
Eine Erfolgsgeschichte über viele Jahre
Dieser Text wurde im Original 2018 als Editorial zu dem Buch Altländer Shanty-Chor / Bi uns achtern Diek von Uwe Richters geschrieben und veröffentlicht und 2023 von Heinz Raap leicht redaktionell überarbeitet.
Das Urgestein des Altländer Shantychors hat die Welt gesehen
Günter Gröbel
Seefahrer Günter Gröbel ist von Anfang an dabei.
Jork (ma). Heute zieht es ihn an die Nordsee. Mit seiner Ehefrau Christine macht er Urlaub auf Sylt – wenn er Zeit hat, und die ist knapp: Günter Gröbel ist mit 64 Jahren noch immer berufstätig und 2. Shantyman im Altländer Shantychor. Und er ist der Döntjeserzähler, der die zahlreichen Auftritte des Chors immer mit einer großen Portion Humor würzt.
In seinem Wohnzimmer steht kein Buddelschiff, kein kleiner Leuchtturm ziert die Regalwand.
Erinnerungen an seine Zeit auf hoher See hat er woanders. „Alles hier oben in der Festplatte“, sagt Günter Gröbel und tippt sich an die Stirn.
Gröbel ist Gründungsmitglied des Traditionschors und weiß um den historischen Ursprung der Lieder, die er singt. „Es sind Lieder, die das Arbeiten für die Seeleute leichter machten. So wurde früher der Rhythmus für das Ankerziehen oder das Segelsetzen angegeben.“ Die original Shantys waren auch eine Art Bordzeitung, die die Missstände auf und unter Deck zu Tage brachten. Und es waren Lieder über das Arbeiten an Land, denn viele heuerten als Seemänner an und verdingten sich dann am Zielhafen bei der Bahn oder im Tagebau.
Der 64-Jährige Günter Gröbel hat selbst eine Seefahrerkarriere hinter sich, die sich wie ein spannendes Buch liest: Als 15-Jähriger hat sich der gebürtige Usedomer „auf die Socken gemacht“ und angheuert. Cuba, Mexiko, die Küste Südamerikas, die Magelan-Straße auf chilenischem Hoheitsgebiet und die Länder in Fernost gehörten zu den Gebieten, in denen der Seemann Gröbel die Häfen angesteuert hat.
Stückgutfrachter mit vielen Stationen in vielen Ländern. Das war seine Welt. „Wir haben sogar den Nachfahren der Meuterer der Bounty auf Pitcairn Island die Post gebracht“, so Gröbel.
Dann kamen die Fahrten nach Neuseeland, wo der Seemann Schafswolle abgeholt hat und auch Ehefrau Christina mit an Bord war. Fast wären sie für immer geblieben: „Das war eine tolle Zeit, aber ich wollte irgendwann doch in die Heimat zurück“, so Christina Gröbel.
Vom Steuermann bis zum Kaptitänspatent hat es Günter Gröbel geschafft. „In der Seefahrtsschule haben wir schon zusammen gesungen“, erinnert sich der Shantyman. Der Anfang einer zweiten Leidenschaft. 1981 hat Shantychorgründer Uwe Richters den Seemann Gröbel ins singende Boot geholt.
Und auch dort schlagen manchmal die Wellen hoch: „Mitte der 90iger haben wir im Hamburg auf der Rickmer Rickmers gesungen. Das war schon ‘ne tolle Nummer“. Joschka Fischer sei dabei gewesen dabei und habe sich ein Lied von Freddy Quinn gewünscht. „Das hatten wir gar nicht im Repertoire und haben stattdessen einfach tief „Seemann, deine Heimat“ gesungen. Da kamen dem Joschka glatt die Tränen“, erzählt Günter Gröbel.
Das sind die Döntjes des Chormannes, denen man stundenlang zuhören möchte. Aber Gröbel ist umtriebig und arbeitet nach wie vor in seiner ehemaligen Firma, die natürlich im Hamburger Hafen ist. „Erst kommt die Firma, dann der Chor und dann das Private“, sagt Christina Gröbel. Aber die Sängerfrau lacht, denn schließlich liebt sie die Shantys ebenso wie er und hört die sonore Stimme ihres Mannes immer wieder gern.
Dieser Beitrag wurde von Frau Marion Albers geschrieben und erschien in der Beilage zum Blütenfest 2009 im „Mittwochsjournal“.