Wie alles begann - Erinnerungen
Historie
Ein Kultlied entsteht
Der "Hamborger Veermaster"
Hamburger Frachtsegler von Johannes Holst aus Altenwerder, dem bedeutenden „Maler der See
Liebe Shanty-Freunde,
liebe Leserinnen und Leser,
unser Sänger im 2. Bass, Hubertus Godeysen, Journalist und Autor, arbeitet gerade an einem Buch über das Lied vom „Hamborger Veermaster“.
Hierzu hat er uns geschrieben:
Moin,
den „Veermaster“ habe ich zum ersten Mal im Musikunterricht unserer Schule gesungen, gleich als Vorsänger, weil ich früh mit dem Stimmbruch durch war. Danach habe ich ihn noch oft gesungen, bei den Pfadfindern, bei der Bundeswehr und in Norddeutschland bei vielen fröhlichen Festen in großer Runde.
Über den Inhalt hatte ich mir eigentlich nie große Gedanken gemacht, der Text war irgendwie lustig und die Melodie machte Freude. Doch als Sänger in unserem Altländer Shanty-Chor entdeckte ich dann vor einem Jahr Widersprüche in dem Lied und begann mit ersten Recherchen.
Dabei ist das Shanty über einen Hamburger Frachtsegler mit vergammeltem Proviant, einer Kombüse voller Läuse und einem Kaptein mit schiefen Beinen nicht nur an der Küste Kult. Der Publikumshit in Plattdütsch mit einer kalifornischen Melodie und einem Goldgräber-Refrain aus Sacramento fehlt in keiner TV-Sendung und auf keinem Musikfestival mit Seemanns- und Hafenliedern. Über 200 Schallplatten und CD-Aufnahmen sind über das Lied vom Segler „vull Schiet un vull Smeer“ erschienen, die tausendfach im Internet abgerufen werden.
Als ich mich auf die Suche nach Deutschlands bekanntestem Viermaster machte, wusste ich noch nicht, dass ich tief in die deutsche Seefahrtsgeschichte eintauchen würde. Weil Deutschland über Jahrhunderte aus eigenständigen Königreichen und Fürstentümern bestand, deren Menschen sich als Binnenländer fühlten, hatte sich keine nationale deutsche Seeschifffahrt entwickelt. Zwar fuhren die Küstenbewohner zur See, aber unter dänischer, niederländischer, friesischer oder hanseatischer Flagge. Erst 1871, mit dem Kaiserreich, wurde Deutschland eine späte Seemacht.
Aber dann holte die deutsche Bevölkerung auf, was in den alten europäischen Seefahrernationen über Generationen gewachsen war. Sie blickte nach Norden, zur See, an die Küste und zur Schifffahrt. Das ganze Land begeisterte sich nun für die Seefahrt, Jungs zogen Matrosenanzüge an und Mädchen Matrosenkleidchen, das Bürgertum spendete für den Aufbau einer Flotte und aus allen Landesteilen meldeten sich junge Männer zur Marine. Mit Stolz verfolgten die Bayern, die Württemberger, die Sachsen, die Schlesier, die Rheinländer und die vielen anderen Landsmannschaften die Berichte über moderne Schiffsneubauten und die rasant wachsende Handelsflotte, deren Schiffe die deutsche Flagge auf allen Meeren zeigten.
Als ab 1880 deutsche Segler Salpeter aus Chile holten, wurde Hamburg zum bedeutendsten Segelschiffhafen Europas. Mit den schnellsten und sichersten Schiffen, den fähigsten Kapitänen und den besten Mannschaften segelten Hamburger Viermastrahsegler um das berüchtigte Kap Hoorn, gewannen immer neue Geschwindigkeitsrekorde und waren auf der Langstrecke den englischen Dampfern weit überlegen.
Doch auf dem Höhepunkt dieser Erfolge deutscher Viermaster, ihrer Kapitäne und Besatzungen wuchs bei vielen Matrosen die Unzufriedenheit über die Zustände an Bord ihrer Segler. Monatelang fuhren sie bei glühender Hitze oder eisiger Kälte, bei totaler Flaute oder schwerem Sturm und mussten bei jedem Wetter in die Wanten und auf die Rahen. Am meisten litten die Seeleute jedoch unter Mangelernährung. Ihr ungenießbarer Proviant bestand aus verschimmeltem Salzfleisch, Speck voller Maden und altem Zwieback.
In den verräucherten Hamburger Seemannskneipen, wo sie unter sich waren, ließen die Seeleute dann ihren lang aufgestauten Frust und ihre Wut raus. Und dort entstand auch ihr Protestlied: „De Hamborger Veermaster“!
Als später immer mehr Dampfer die alten Segler verdrängten und sich die Verhältnisse auf den Schiffen verbesserten, verlor die Kritik an Härte. Je weiter sich der Protestsong von Hamburg entfernte, desto unbeschwerter und fröhlicher klang er.
Nur bei Kapitänen und Schiffsoffizieren traf der „Veermaster“ auf totale Ablehnung, sie wollten das Lied verbieten. Die Erzählung von einem schiefbeinigen Kaptein, der auf einer Viermastbark „dree vörut und veer werrer retur“ segelte und ein total verdrecktes Schipp kommandierte, empfanden sie als so abwegig und realitätsfremd, dass sie den Song als ehrverletzend und schwere Kränkung empfanden. Bald sangen die Matrosen den Veermaster dann auch nur noch als Shanty am Gangspill, wenn sie den Anker aufholten, bis Winden die Muskelkraft ersetzten.
Der „Hamborger Veermaster“ geriet in Vergessenheit.
Wie dann doch noch aus dem einstigen Protestsong Hamburger Matrosen das bekannteste Seemannslied Deutschlands wurde, ist eine mitreißende und spannende Geschichte. Bei meiner Arbeit wurde ich von Kapitänen, Reedern, Seefahrtshistorikern, Shantysängern und dem Kieler Lotsenchor „Knurrhahn“ unterstützt. Geholfen haben mir auch die als Faksimile im ASC-Buch „Bi uns achtern Diek“ abgedruckten Original-Berichte ehemaliger Kapitäne, die als junge Seeleute Kap Hoorn noch auf Segelschiffen umrundet hatten und zu den Gründern unseres Shanty-Chores zählen.
2026 dürfte der „Veermaster“ als Buch vorliegen.
Bis dahin alles Gute!
Herzliche Grüße
Hubertus Godeysen
1981 - Gründung Altländer Shanty Chor
Altländer Shanty-Chor
Eine Erfolgsgeschichte über viele Jahre

Dieser Text wurde im Original 2018 als Editorial zu dem Buch Altländer Shanty-Chor / Bi uns achtern Diek von Uwe Richters geschrieben und veröffentlicht und 2023 von Heinz Raap leicht redaktionell überarbeitet.
Das Urgestein des Altländer Shantychors hat die Welt gesehen

Günter Gröbel
Seefahrer Günter Gröbel ist von Anfang an dabei.
Jork (ma). Heute zieht es ihn an die Nordsee. Mit seiner Ehefrau Christine macht er Urlaub auf Sylt – wenn er Zeit hat, und die ist knapp: Günter Gröbel ist mit 64 Jahren noch immer berufstätig und 2. Shantyman im Altländer Shantychor. Und er ist der Döntjeserzähler, der die zahlreichen Auftritte des Chors immer mit einer großen Portion Humor würzt.
In seinem Wohnzimmer steht kein Buddelschiff, kein kleiner Leuchtturm ziert die Regalwand.
Erinnerungen an seine Zeit auf hoher See hat er woanders. „Alles hier oben in der Festplatte“, sagt Günter Gröbel und tippt sich an die Stirn.
Gröbel ist Gründungsmitglied des Traditionschors und weiß um den historischen Ursprung der Lieder, die er singt. „Es sind Lieder, die das Arbeiten für die Seeleute leichter machten. So wurde früher der Rhythmus für das Ankerziehen oder das Segelsetzen angegeben.“ Die original Shantys waren auch eine Art Bordzeitung, die die Missstände auf und unter Deck zu Tage brachten. Und es waren Lieder über das Arbeiten an Land, denn viele heuerten als Seemänner an und verdingten sich dann am Zielhafen bei der Bahn oder im Tagebau.
Der 64-Jährige Günter Gröbel hat selbst eine Seefahrerkarriere hinter sich, die sich wie ein spannendes Buch liest: Als 15-Jähriger hat sich der gebürtige Usedomer „auf die Socken gemacht“ und angheuert. Cuba, Mexiko, die Küste Südamerikas, die Magelan-Straße auf chilenischem Hoheitsgebiet und die Länder in Fernost gehörten zu den Gebieten, in denen der Seemann Gröbel die Häfen angesteuert hat.
Stückgutfrachter mit vielen Stationen in vielen Ländern. Das war seine Welt. „Wir haben sogar den Nachfahren der Meuterer der Bounty auf Pitcairn Island die Post gebracht“, so Gröbel.
Dann kamen die Fahrten nach Neuseeland, wo der Seemann Schafswolle abgeholt hat und auch Ehefrau Christina mit an Bord war. Fast wären sie für immer geblieben: „Das war eine tolle Zeit, aber ich wollte irgendwann doch in die Heimat zurück“, so Christina Gröbel.
Vom Steuermann bis zum Kaptitänspatent hat es Günter Gröbel geschafft. „In der Seefahrtsschule haben wir schon zusammen gesungen“, erinnert sich der Shantyman. Der Anfang einer zweiten Leidenschaft. 1981 hat Shantychorgründer Uwe Richters den Seemann Gröbel ins singende Boot geholt.
Und auch dort schlagen manchmal die Wellen hoch: „Mitte der 90iger haben wir im Hamburg auf der Rickmer Rickmers gesungen. Das war schon ‘ne tolle Nummer“. Joschka Fischer sei dabei gewesen dabei und habe sich ein Lied von Freddy Quinn gewünscht. „Das hatten wir gar nicht im Repertoire und haben stattdessen einfach tief „Seemann, deine Heimat“ gesungen. Da kamen dem Joschka glatt die Tränen“, erzählt Günter Gröbel.
Das sind die Döntjes des Chormannes, denen man stundenlang zuhören möchte. Aber Gröbel ist umtriebig und arbeitet nach wie vor in seiner ehemaligen Firma, die natürlich im Hamburger Hafen ist. „Erst kommt die Firma, dann der Chor und dann das Private“, sagt Christina Gröbel. Aber die Sängerfrau lacht, denn schließlich liebt sie die Shantys ebenso wie er und hört die sonore Stimme ihres Mannes immer wieder gern.
Dieser Beitrag wurde von Frau Marion Albers geschrieben und erschien in der Beilage zum Blütenfest 2009 im „Mittwochsjournal“.